Mittwoch, 10. Mai 2017

Berlin : jedes Kaff in der Tundra hat mehr Leben


Als die Inuit in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit den "Weißen" in Kontakt kamen, begannen sie als Volk und Kultur zu sterben. Ein Gift von vielen das die Weißen mitbrachten, war die Zeit. Inuit kennen zwar mehr als 20 Arten von Schnee, aber sie kannten nicht den Begriff der Zeit. Wir haben ihnen beigebracht das es Zeit gibt, und was noch schlimmer ist, das es nützliche und unnütze Zeit gibt.

Wer eine Studie über unnütze Zeit machen will sollte nach Berlin kommen. Nirgendwo habe ich so viele Menschen gesehen die Dingen hinterherlaufen die nichts mit Leben zu tun haben.
Viel schlimmer: sie laufen sich selbst hinterher während sie sind als lebende Chlichès durch eine hässliche Stadt bewegen. 

Das Unglück teilt sich in zwei Gruppen: Touristen und Menschen die sich für Ureinwohner halten.

Touristen sind überall gleich unangenehm, sie blöken überlaut und affektiert in der Öffentlichkeit, und betrachten alles mit dem Blick mit dem sie auch Insekten im Zoo betrachten.

Zum Glück können Sie mit Flach-Fotoapparaten 20 Bilder pro Minute machen, sonst müssten Sie die Ureinwohner und Brandenburger Tore mit Tesafilm oder Nadeln fixiert, in Ihre Tagebücher einsortieren.
Die, die es nicht besser wussten oder sogar mit Vorsatz in Berlin leben, sind von vielen Dingen gesteuert und geleitet, aber nicht von einem lebenswertem Leben. Natürlich wissen Sie immer und jederzeit was angesagt ist, wo noch ein Loch im Körper fehlt und wo es die beste Bartwixe gibt.
Ein gutes Beispiel für Berlin-Zombies sind Eltern mit Zubehör-Kindern. Die Kinder die nicht Ihre Tagesdosis Ritalin im veganen Chiasamen-Shake hatten benehmen sich entsprechend, und reißen sich in Ermangelung von morschen Bäumen gegenseitig die Haare aus.

Heute sah ich ein Mädchen im Vorschulalter das im Gespräch mit Ihre Art-Deko-Mutter mehrfach das Wort "Ernsthaft" benutzte. Wieso kennt ein Kind dieses Wort überhaupt? Wird es auf ein Leben mit toten Augen vorbereitet ?

Leben ist das nicht in Berlin, zum einen wegen der Zeit, dem Gift an dem auch wir langsam zu Grunde gehen. Zum anderen weil Leben nicht eine Hülle ist, die sich im Takt der Moden neu beklebt. Heute Yogalehrer, morgen Hipster, übermorgen "irgendwas mit Medien" - dazwischen Heilpraktik mit Globuli und Lichttherapie für besseren Stuhlgang.

Ich halte es da mit Hans Dieter Hüsch : "Ich habe die Tiefe der Oberfläche entdeckt"


In Berlin gibt es zwar Oberflächen auf Menschen und auf Gebäuden, aber Tiefe sehe ich hier nicht.
Wer gelernt hat zu leben, hat auch keine Angst vor dem Tot - klingt komisch, ist aber so.
Berlin hat soviel Angst vor dem Tot, dass es regelrecht nach Angst stinkt.  

 


 

PS: wie immer tragen Orte und Personen in meiner Kolumne  nicht ihre echten Namen.
PPS: Warum? Ich möchte nicht von Jogalehrern verdroschen werden.